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mit Margarete und wollte ihr so Ich verbrachte dann einen richtig
„Heute habe ich mein Mitgefühl zeigen und sie schönen, intensiven Vormittag
mit Margarete. Wir tranken Tee
etwas trösten.
meine Grenzen Bei einer dieser Begegnungen und ich lernte sie dabei näher
kennen. Wir teilten unsere Ge-
fragte sie mich dann, ob ich sie
überschritten“ nicht mal zuhause besuchen schichten und unseren Glauben.
Gegen Ende beteten wir zusam-
könnte. Sie wollte mir einige
Kunstbilder von Hans vererben, men.
Petra Koch weil sie den Eindruck hatte, dass Und dann beim Gehen zeigte sie
ich diese Drucke mit verschiede- mir die Bilder. Sie betonte mehr-
Heute habe ich meine Grenzen nen seelsorgerichen Motiven be- mals, dass ich die Bilder nicht
überschritten - innere und äußere kommen sollte, weil ich ja auch unbedingt aufzuhängen brauche,
gleichzeitig. Blöd, oder? Seelsorgerin bin. als ich anfing, sie mir genauer an-
Warum blöd? Weil ich mir nicht Ich muss gestehen, es war schon zusehen.
sicher war, ob Jesus mich schickt eine Art Ehre für mich, dass ich Damit setzte sie mich frei. „Ich
oder nicht. etwas von Hans erben sollte. Und schau mal, ob ich einen guten
Ich bin Beraterin. Da lernt man zugleich war es aber auch eine Platz finde“, sagte ich, „aber ver-
„professionell“ zu arbeiten und Last und ich hatte einige Zwei- sprechen kann ich nichts.“ Das
zu leben. Damit meine ich: Gren- fel: Würden mir die Bilder wohl war in Ordnung für sie.
zen setzen in Beziehungen und gefallen? Bin ich dann im Zug- Nun, was soll ich jetzt denken
sein jeweiliges Rollenverständnis zwang und in der Pflicht, sie auch über dieses Erlebnis?
klären, weil man sich sonst viel- aufzuhängen in meinen Räumen? War es gut oder richtig, meine
leicht verausgaben könnte. Es be- Und eine typische Berater-Frage: inneren und äußeren Grenzen zu
steht die Gefahr, ein ungesundes Wird mir hier ein Auftrag dele- überschreiten und mein „Eigent-
Helfersyndrom zu entwickeln. giert, der gar nicht meiner ist? So lich“ hintenan zu stellen? Defini-
Deswegen ist Selbstreflexion an- sah es in mir aus. tiv ja!
gebracht, auch um anderen ange- Und dazu kam noch, dass ich War es wohl Jesus, der mich zu
messen helfen zu können, ohne für diesen bestimmt halbtägigen ihr geschickt hat? Keine Ahnung.
dabei selbst zu kurz zu kommen. Ausflug in ihre Stadt wirklich Es fühlte sich nicht besonders
Sich selbst wahrnehmen, seine nicht die Zeit hatte. Mein Ka- heilig an.
Werte und Bedürfnisse kennen lender war gerade bis zum Rand Würde ich es wieder tun? Auf je-
und ihnen gemäß leben. So geht gefüllt - mehr als gut war. den Fall.
das! Bin ich dadurch gewachsen oder
Und ganz ehrlich: Ich habe Trotz all dem wusste ich tief kriege ich ein Krönchen dafür?
richtig gute Erfahrungen damit drin: Die Liebe verbietet es mir Kann ich nicht sagen. Weiß ich
gemacht. Diese Strategie funk- an dieser Stelle, nicht zu Marga- einfach nicht.
tioniert und verhilft zu einem rete zu fahren. Wenn ich daran Es war, wie es war, und es ist nun,
starken, gelingenden und gut denke, was sie gerade durchma- wie es ist. Richtig und Falsch
ausbalancierten Leben. Ich kann chen muss, wäre es fast gemein, spielt gar keine Rolle dabei. Viel-
sie echt empfehlen! ihre Erwartungen zu enttäuschen leicht erfahre ich ja mal irgend-
Aber jetzt kommt das ABER: und stattdessen meine Grenzen wann mehr, was das soll und
Aber es gibt Tage, da passt das zu achten - die Grenzen meiner warum es genau so gut war - für
einfach nicht. Da habe ich das Kraft, Zeit und die meiner Art, Margarete, für mich und für wen
Gefühl, dass so ein Vorgehen völ- Beziehungen zu leben. auch immer.
lig lieblos wäre. Es half nichts: also Augen zu und
Heute ging es mir so. durch! Ich fuhr die 40 km zu ihr
Hans war gestorben vor ein paar hin und es fühlte sich nichtwirk- (P.S. Hans und Margarete sind
Monaten. Er war früher Pastor lich lebendig an, eher wie eine nicht die Originalnamen)
und war in den letzten Jahren Pflichterfüllung. Ich musste ge-
Teil unserer Gemeinde zusam- gen mich, meine Interessen und
men mit seiner Frau Margare- meine Werte arbeiten. Aber den-
te. In der Zeit nach seinem Tod noch ging es echt nicht anders.
unterhielt ich mich ein paar Mal Hinfahren war dran, definitiv!
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