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wo eigentlich ein Nein angebracht ten fällt, ein Nein zu sagen, wenn der alle Menschen betrifft, egal
wäre. Das Neinsagen scheint uns wir unsere eigenen Bedürfnisse wo sie leben und in welchem
also generell schwer zu fallen. schützen sollten. Hier scheinen kulturellen Kontext sie sich be-
Nicht jedes Nein, das wir am Tag wir unsicher zu sein, haben viel- finden.
zu sprechen haben, zählt dazu. leicht Angst, egoistisch, ich-zent- Mir ist aufgefallen, dass gleich das
Laut Verhaltensforschung tref- riert oder lieblos zu sein. erste Nein im Schöpfungsbericht
fen wir bewusst oder unbewusst Doch jeder Mensch hat Bedürf- der Bibel - als Gott spricht, nicht
mehr als 20.000 Entscheidun- nisse, darf sie haben, sollte sie vom Bau der Erkenntnis von Gut
gen am Tag, und unsere inneren kennen und zeigen. Erst dann und Böse zu essen - Misstrauen
gedanklichen oder emotionalen kann er die Entscheidung treffen, erzeugt: Sollte Gott etwas gegen
Nein und Ja sind als Weichen- sie zu leben oder darauf zu ver- uns haben?
stellungen an diesen Entschei- zichten. Jedes Land, jede Kultur hat ihre
dungen beteiligt. eigenen Lösungen gefunden, wie
Aber es genügen schon zwei bis sie das Nein mit seinem Miss-
drei herausfordernde Nein, um Der dritte Grund ist, dass trauen entschärft. Schon inner-
uns in dieser Meinung zu be- wir Ärger vermeiden wollen, weil halb Europas höre ich auf meinen
stärken, dass uns das Neinsagen der andere, dem ich Nein sage, Vorträgen den Einwand, dass
schwerfällt. wie verbindend mir das auch ge- man zum Beispiel in Österreich
lingen mag, ärgerlich reagieren schon andere Formen gefunden
kann. Und das möchte ich ver- hat als in Deutschland. In man-
Als ersten Grund, warum meiden. Doch diesen Preis müs- chen asiatischen Kulturen gibt es
uns das Neinsagen schwerfällt, sen wir bereit sein zu bezahlen. Situationen, wo ein Nein, zum
möchte ich unsere eigene Le- Es wird sowieso und es darf Ärger Beispiel gegenüber einer beruflich
bensgeschichte anführen, mit all in unserem Leben geben. Ärger höher gestellten Person, nicht er-
den Nein-Erfahrungen: Wie hat ist zwar ein unangenehmes, aber laubt ist.
man mir als Kind Nein gesagt, deshalb kein schlechtes Gefühl. Und deswegen meine Hauptthe-
beziehungsweise was habe ich er- Ärger ist ein Signalgefühl, dass se: Wir, die Menschheit, brauchen
lebt, wenn ich selbst Nein gesagt etwas nicht stimmt. Also ein gu- eine Versöhnung mit dem Nein.
habe? tes Gefühl! Voraussetzung ist dazu die Ver-
Waren es Erfahrungen der Will- söhnung mit Gott, dass wir ihm
kür, der Verachtung, der Miss- gegenüber unser Misstrauen auf-
achtung und ähnlich Schmerz- Und der vierte Grund, wa- geben. Auch seine Gebote, seine
haftes, wollen wir damit nicht rum uns das Neinsagen schwer- Grenzen, sind etwas Gutes.
wieder in Berührung kommen fällt, ist ein universeller Grund,
und versuchen deshalb, ein Nein
zu vermeiden.
Zweiter Grund: Es fällt uns
schwer, zu unseren eigenen Be-
dürfnissen zu stehen.
Das hat nicht nur etwas mit mehr
oder weniger Selbstvertrauen zu
tun, sondern auch mit dem Mut,
zu eigenen Rechten und Bedürf-
nissen zu stehen, sie zu leben, das
zu nehmen, was mir zusteht, aber
auch aus Liebe Rechte loszulas-
sen, aus Freiheit zu verzichten
und von dem weiterzugeben, was
mir gehört.
Das Ergebnis einer eigenen Be-
fragung zeigt, dass es am schwers-
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