Page 43 - Gehaltvoll 10.1
P. 43

wo eigentlich ein Nein angebracht   ten fällt, ein Nein zu sagen, wenn   der  alle  Menschen  betrifft,  egal
        wäre. Das Neinsagen scheint uns     wir unsere eigenen Bedürfnisse      wo sie leben und in welchem
        also generell schwer zu fallen.     schützen sollten. Hier scheinen     kulturellen Kontext sie sich be-
        Nicht jedes Nein, das wir am Tag    wir unsicher zu sein, haben viel-   finden.
        zu  sprechen  haben,  zählt  dazu.   leicht Angst, egoistisch, ich-zent-  Mir ist aufgefallen, dass gleich das
        Laut  Verhaltensforschung  tref-    riert oder lieblos zu sein.         erste Nein im Schöpfungsbericht
        fen wir bewusst oder unbewusst      Doch jeder Mensch hat Bedürf-       der Bibel - als Gott spricht, nicht
        mehr als 20.000 Entscheidun-        nisse, darf sie haben, sollte sie   vom Bau der Erkenntnis von Gut
        gen am Tag, und unsere inneren      kennen und zeigen. Erst dann        und Böse zu essen - Misstrauen
        gedanklichen oder emotionalen       kann er die Entscheidung treffen,   erzeugt: Sollte Gott etwas gegen
        Nein und Ja sind als  Weichen-      sie zu leben oder darauf zu ver-    uns haben?
        stellungen an diesen Entschei-      zichten.                            Jedes Land, jede Kultur hat ihre
        dungen beteiligt.                                                       eigenen Lösungen gefunden, wie
        Aber es genügen schon zwei bis                                          sie das Nein mit  seinem Miss-
        drei herausfordernde Nein, um              Der dritte Grund ist, dass   trauen entschärft. Schon inner-
        uns in dieser Meinung zu be-        wir Ärger vermeiden wollen, weil    halb Europas höre ich auf meinen
        stärken, dass uns das Neinsagen     der andere, dem ich Nein sage,      Vorträgen den Einwand, dass
        schwerfällt.                        wie verbindend mir das auch ge-     man zum Beispiel in Österreich
                                            lingen mag, ärgerlich reagieren     schon andere Formen gefunden
                                            kann. Und das möchte ich ver-       hat als in Deutschland. In man-
             Als ersten Grund, warum        meiden. Doch diesen Preis müs-      chen asiatischen Kulturen gibt es
        uns das Neinsagen schwerfällt,      sen wir bereit sein zu bezahlen.    Situationen, wo ein Nein, zum
        möchte ich unsere eigene Le-        Es wird sowieso und es darf Ärger   Beispiel gegenüber einer beruflich
        bensgeschichte anführen, mit all    in  unserem  Leben  geben.  Ärger   höher gestellten Person, nicht er-
        den Nein-Erfahrungen: Wie hat       ist zwar ein unangenehmes, aber     laubt ist.
        man mir als Kind Nein gesagt,       deshalb kein schlechtes Gefühl.     Und deswegen meine Hauptthe-
        beziehungsweise was habe ich er-    Ärger  ist  ein  Signalgefühl,  dass   se: Wir, die Menschheit, brauchen
        lebt, wenn ich selbst Nein gesagt   etwas nicht stimmt. Also ein gu-    eine Versöhnung mit dem Nein.
        habe?                               tes Gefühl!                         Voraussetzung  ist  dazu  die  Ver-
        Waren es Erfahrungen der Will-                                          söhnung mit Gott, dass wir ihm
        kür,  der  Verachtung,  der  Miss-                                      gegenüber unser Misstrauen auf-
        achtung und ähnlich  Schmerz-               Und der vierte Grund, wa-   geben. Auch seine Gebote, seine
        haftes, wollen wir damit nicht      rum uns das Neinsagen schwer-       Grenzen, sind etwas Gutes.
        wieder in Berührung kommen          fällt, ist ein universeller Grund,
        und versuchen deshalb, ein Nein
        zu vermeiden.



              Zweiter Grund: Es fällt uns
        schwer, zu unseren eigenen Be-
        dürfnissen zu stehen.
        Das hat nicht nur etwas mit mehr
        oder weniger Selbstvertrauen zu
        tun, sondern auch mit dem Mut,
        zu eigenen Rechten und Bedürf-
        nissen zu stehen, sie zu leben, das
        zu nehmen, was mir zusteht, aber
        auch aus Liebe Rechte loszulas-
        sen,  aus  Freiheit  zu  verzichten
        und von dem weiterzugeben, was
        mir gehört.
        Das Ergebnis einer eigenen Be-
        fragung zeigt, dass es am schwers-




                                                                                                                     43
   38   39   40   41   42   43   44   45   46   47   48